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Thüringen nach Fukushima: Vorzeigedorf setzt auf Bioenergie

Unter Literaturliebhabern ist Schlöben durch mehrere Aufenthalte des Dichters Novalis bekannt, der im 18. Jahrhundert die Welt romantisieren wollte. Als romantische Spinnerei hätte man bis vor wenigen Jahren wohl auch den Plan abgetan, der das Dorf nun über die Region hinaus berühmt macht: Schlöben will energieunabhängig sein.

Schlöben. Das Vorzeigedorf liegt wenige Kilometer östlich von Jena in einer kleinen Schlucht. Vom Hang aus betrachtet, unterscheidet es sich kaum von den etwas kleineren Nachbardörfern. Auf einem Hügel thront die Kirche, der steile Kirchturm küsst den Himmel. Links am Dorfrand ist eine alte Industrieanlage zu erkennen.Zwischen der Anlage und der Kirche stehen die Wohnhäuser, von denen die meisten wie gerade erst erbaut oder gerade eben saniert aussehen. Auf vereinzelten Dächern fangen Solarzellen die Sonnenstrahlen ein. Doch wo stehen die Windräder?Der Bürgemeister Hans-Peter Perschke (SPD) lächelt. „So viel Wind gibt es in Thüringen gar nicht“, sagt er. Dann erklärt er die Philosophie, die hinter dem Bioenergiedorf steckt – und die überraschend wenig mit Technologie zu tun hat.Er sitzt im Büro im Gemeindehaus, einem Fachwerkbau am gepflegten Dorfplatz. „Wenn ein Dorf wie unseres eine Überlebenschance haben will, muss man alle Dinge neu betrachten“, sagt er und betont zuerst den demografischen Faktor: Der Bevölkerungsschwund müsse gestoppt werden.So wie er es beschreibt, ist Schlöben zuerst ein funktionierendes und erst dann ein energieautarkes Dorf: Seit 1990 stieg die Einwohnerzahl von 210 auf knapp 500. Es gibt einen Kindergarten, eine Grundschule und viele Vereine. Im August soll ein Familienzentrum eröffnet werden. Ein Dorfladen mit Café, Geldautomat und Poststelle, ein kleines Seniorenheim sowie ein Einkaufs- und Ärztebus sind fest geplant.

Die Biogasanlage gehört dem Dorf

Diese Einrichtungen erhöhen die Attraktivität des Ortes und stärken die Gemeinschaft. Sie sind auf ihre Art die Voraussetzung für die Biogas-Anlage, die am Jahresende in Betrieb gehen und das Dorf mit Wärme und Strom versorgen soll. Denn die Anlage wird durch eine Genossenschaft betrieben – sie gehört dem Dorf und seinen Bürgern.

 

„Am schwierigsten war es, die Leute zu überzeugen“, meint Perschke. In Schlöben hat das funktioniert. Seit die Genossenschaft vor anderthalb Jahren gegründet wurde, traten über 70 Mitglieder ein. Das heißt, dass drei Viertel der Haushalte in Schlöben und im kleinen Nachbardorf Zöttnitz mit Wärme aus der Anlage versorgt werden.Jedes Mitglied zahlt 2000 Euro ein und erhält einen Wärmetauscher, der die Heizung ersetzt. Der Preis für die Fernwärme werde sich auf 7 Cent pro Kilowattstunde belaufen – das entspreche einem Heizölpreis von 50 Cent pro Liter. „Noch wichtiger ist die regionale Wertschöpfung“, sagt Perschke. „Das Geld bleibt im Ort.“Die Anlage selbst wird einige Hundert Meter vom Dorf entfernt neben der Milchviehzucht des Agrarunternehmens Wöllmisse errichtet. Aus Gülle, Mais-Silage und Festmist entsteht dort Biogas, das zum Teil in einem modernen Blockheizkraftwerk (BHKW) vor Ort verbrannt wird. Der Strom wird ins Netz gespeist, die Wärme hält den Fermentierungsprozess der Anlage in Gang.Zwei weitere BHKW entstehen in der Industrieanlage am Dorfrand, die einst der Kreisbetrieb für Landtechnik war. Sie werden als Satelliten-BHKW durch eine Biogas-Leitung mit den Fermentern verbunden. Die erzeugte Wärme beheizt über ein 5,8 Kilometer langes Netz die öffentlichen und die meisten privaten Gebäude im Dorf. Um den Bedarf auch zu Spitzenzeiten zu decken, ist ein zusätzlicher Holzhackschnitzelkessel geplant, der aus den nahen Wäldern und mit Gartenschnitt bestückt wird.Das reicht, um das Dorf mit Strom und Wärme zu versorgen. „Wir wollen sogar Strom exportieren“, sagt Perschke.Als Modell für ganz Thüringen taugt das Dorf mit seinem geringen Energiebedarf nur bedingt. Es wird durch seine Lage nahe der A 4 und Jena begünstigt und kooperiert mit einem gut aufgestellten Agrarunternehmen, das sich beim Biogas-Projekt als idealer Partner erwies. Seine Sonderstellung verdankt Schlöben auch dem Umstand, dass es mit dem Bürgermeister einen „Kümmerer“ besitzt. Perschke, seit 1985 in Schlöben, ist bestens vernetzt und informiert. Bei den Diskussionen im Dorf trieb er die Ziele voran, die einst als Visionen begannen und nun Wirklichkeit werden. Solche Projekte setzten die Unabhängigkeit der Kommunen voraus, meint er.Nicht zuletzt hat der Bürgermeister ein Talent dafür, Fördergelder zu beantragen. Das Land, die Bioenergie-Region Jena-Saale-Holzland und Bundes-Projekte unterstützten viele Investitionen. Jüngstes Beispiel ist der Zuschuss für ein Glasfasernetz, das mit den Wärmeleitungen verlegt wird und den Bewohnern einen schnellen Internetanschluss verspricht.Die Vorreiterrolle bei den Projekten nimmt dabei stets der Kindergarten ein. Er war schon Bewegungs- und ökologischer Kindergarten und gehört nun zum Leuchtpol-Projekt, bei dem es um Umwelt und Energie geht. „Die Eltern werden dabei mit motiviert“, weiß Perschke.

Schlöben zeigt, dass es möglich ist

Schlöben ist ein Vorbild zumindest für den ländlichen Raum. Das meint auch Dr. Olaf Schümann. Als Effizienz-Experte bei der Thüringer Energie- und Green-Tech-Agentur Thega in Erfurt beschäftigt er sich damit, wie Thüringen unabhängiger von Erdöl, Kohle und Co. werden kann. Eine komplette Unabhängig hält er zwar derzeit für eine Utopie. „Schlöben zeigt aber, dass es prinzipiell geht.“Laut Dr. Schümann müssten drei Strategien ineinander greifen, wobei weder die Lebensqualität leiden noch der Strompreis beträchtlich steigen dürfe. „Zuerst gilt es, Energie zu sparen“, sagt der Experte – durch bessere Dämmung der Häuser etwa oder eine intelligentere Verkehrsleitung. Zweitens gelte es, die Effizienz im Verbrauch zu erhöhen. Dies könne durch Wärmepumpen, eine intelligente Steuerung des Stromverbrauches oder eben Blockheizkraftwerke geschehen. Schließlich müsse weiter an der Erzeugung und Speicherung grüner Energien gearbeitet werden.Bürgermeister Perschke sieht sein Dorf jedoch nicht nur als Vorbild für den ländlichen Raum allein. Gerade die zentral erzeugte Fernwärme, etwa durch Satelliten-BHKW, könne den Energieverbrauch auch in Städten deutlich drücken.Von einem Windrad träumt er übrigens doch. Allerdings: es muss ein Bürgerwindrad sein.

Holger Wetzel / 20.07.11 / TA